HOME

José Alberto, was bedeutet für dich die Malerei oder im weiteren Sinne das künstlerische Schaffen? Was sind die Wurzeln oder der innere Antrieb.

Mich hat schon als Jugendlicher das künstlerische Arbeiten interessiert, das Malen, die Fotografie, Theater, aber das war sehr peripher, weil niemand da war, der mich darin fördern konnte. Das ist auch der Grund, warum ich nicht Kunst sondern Architektur studierte, obwohl ich immer schon gezeichnet habe, zum Beispiel für die Schulzeitung oder ähnliches. In den 80igern traf ich dann eine Gruppe von jungen Malern von der Nationaluniversität. Wir arbeiteten in den marginalisierten Stadtvierteln eng zusammen mit anderen "Kulturarbeitern". Wir begannen uns für präkolumbianische Kunst zu interessieren und forschten intensiv nach deren Motiven und Symbolik, verbunden mit der Suche nach einer authentischen Volkskunst, nach unseren historischen Wurzeln außerhalb des traditionellen eurozentrischen Mainstreams. Das bewegte damals viele Intellektuelle, Musiker, Dichter, Maler, Theatermacher ...
Wir arbeiteten im Kollektiv, wir verstanden uns als Muralisten. Die Entwürfe wurden gemeinsam erarbeitet und vor allem Schulen angeboten, dort wurden sie in Gemeinschaftsarbeit, zum Teil auch unter Einbeziehung der Schüler realisiert. So entstanden einige Wandbilder im Süden Bogotás. Manche gibt es noch, die meisten sind inzwischen verschwunden. Aber es war auch nicht unser Anliegen, für die Ewigkeit Meisterwerke zu schaffen, sondern in einem konkreten historischen Moment Bewußtsein zu schaffen. Für mich war diese Gruppe sehr wichtig, ich denke das mich das bis heute in meiner Kunst beeinflusst.


Künstlerische Arbeiten sind häufig autobiografisch beeinflusst oder verarbeiten ganz direkt und konkret eigene Lebenserfahrungen. Haben Themen wie das gewaltsame Verschwindenlassen von Menschen, Vertreibung oder ähnliches etwas mit deinen eigenen Erfahrungen und Erinnerungen zu tun? Ist dann Kunst und künstlerisches Schaffen nicht auch ein Versuch der Selbsttherapie?

Ich glaube schon, das eigene Erfahrungen dem künstlerischen Schaffen zu Grunde liegen, vielleicht kann man sogar soweit gehen, zu sagen, dass dies immer so ist. Es gibt keine Kunst außerhalb des eigenen menschlichen Horizontes, wir verarbeiten immer das, was uns gegeben ist.
In meinem Fall kann ich schon sagen, dass die gemeinsame Arbeit mit der Gruppe, die Politisierung in den 80iger, auch die Polarisierung unter der Regierung Turbays, die Arbeit in verschiedenen sozialen Bewegungen und schließlich mit der UP, zu einem politischen Verständnis der Kunst führten. Kunst so verstanden, ist Teil eines kollektiven Traumes. Das ist die eine Seite, die motiviert und antreibt, die andere ist aber auch die Tragik, derer wir alle ausgesetzt waren und sind, die sich als Teil dieser Bewegung sehen. Wenn ich auf diese Jahre zurückblicke, so erlebe ich mich selbst als Überlebenden, als einer der Glück gehabt hat. Aus meiner Generation, vor allem diejenige des Colegios, die in der Arbeit in den Schulzeitungen, Schülerräten und Stadtteilen aktiv waren, sind nicht viele die übrig geblieben sind. So wurde der Tod etwas sehr gegenwärtiges. Es begann die Annäherungen an Organisationen wie ASFADDES und andere Menschenrechtsgruppen. Persönlich am meisten geprägt hat mich der Tod von Leonardo Gomez, einem Freund aus der Malergruppe. Er war der begabtes von uns, auch der derjenige vielleicht mit dem höchsten moralischen und politischen Anspruch an die Arbeit. Er war erst 17 Jahre alt, als sein Körper
gefoltert und verstümmelt aufgefunden wurde, eines der vielen Opfer der damaligen Repressionspolitik. Geblieben ist die Erinnerung an ihn, nicht nur die eigene sondern auch die der Freunde. So war das erste Stück "Donde está" der Theatergruppe Luz de Luna in Bogotá, mit der ich künstlerisch sehr eng zusammenarbeite, die theatralische Umsetzung seines Todes. In dieser Erinnerung begegnen wir einander, aber ich würde nicht sagen, dass es sich dabei um eine therapeutische Arbeit handelt, auch wenn die Kunst, besonders das Theater, natürlich eine Funktion der Katharsis innehaben kann. Es ist eher so etwas wie das Gefühl der Verpflichtung, weiter zu machen, die Erinnerung wach zu halten, den Traum weiter zu tragen, und so den Tod der Vergeblichkeit zu entreißen. Ich glaube, dass das unsere Verpflichtung als politisch motivierte Künstler ist, die Träume wach zu halten. Es ist unser Recht auf kulturelle Selbstbestimmung, dass wir die Motive und Inhalte unserer Kunst selbst benennen und so eine Umwertung vornehmen, in einer Gesellschaft, der es an jeglichem Respekt vor der Würde und Integrität des Einzelnen fehlt. Es geht schon darum, im Betrachter an die Grundlagen unseres Menschsein zu rühren und ein kollektives Gedächtnis zu schaffen, in dem menschliche Grundthemen behandelt werden: Leid, Freude, Hoffnung, Sehnsucht, Trauer, Tod ...
Das künstlerische Schaffen ist ein ständiger Prozess in der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, und wenn ich mich nicht nur als Handwerker verstehe, dann gebe ich mich als Person hinein in diesen Prozess und Kunst wird zu innerer Notwendigkeit mit eigener Dynamik.
Was bedeutet für dich, die kolumbianische Tragödie und das Leid der Menschen soweit von deiner Heimat Kolumbien entfernt bildnerisch auszudrücken? Bringt es dich näher oder mehr in Distanz, ist es hilfreich oder eher schwierig? Ich meine, viele politische Kunstwerke werden außerhalb des eigenen Landes im Exil, verwirklicht. Heißt das, die Ferne schärft den Blick?

Als ich vor dreizehn Jahren nach Deutschland kam, dachte ich nicht, dass ich lange bleiben werde. Mit der Zeit wurde mir bewusst, dass eine gemeinsame Rückkehr nicht so einfach sein wird. Damals habe ich mich sehr einsam gefühlt, das ist so, als ob plötzlich der Boden wegbricht, auf dem du bislang ganz sicher gestanden hast. Ich habe meine Arbeit immer als Teil eines Kollektivs gesehen, sowohl als Maler, wie auch als Kulturarbeiter (wir haben Kulturfestivals im Süden Bogotás organisiert) und plötzlich hatte ich also nur noch mich selbst. Die Bilder aus dieser Zeit haben sich weniger mit der kolumbianischen Problematik auseinandergesetzt sondern vielmehr mit der neuen Situation der Vereinzelung und auf das Aufsichselbstgeworfensein. Sich mit Kolumbien und seinen Problemen zu beschäftigen, diese künstlerisch zu verarbeiten, war ein Prozess, mich wieder zu verorten. Zunächst war das in der Besinnung auf meine künstlerischen Wurzeln, den präkolumbianischen Motiven, nicht mehr als Wandbilder sondern in eigener großformatiger Verarbeitung. Jetzt kam auch eine intensives Studium der europäischen Kunst hinzu. Natürlich ist der Blick von außen ein anderer. Er ist nicht nur schärfer oder sagen wir fokussierter, da er ja das Alltagsleben ausblendet, sondern auch weiter, indem die Perspektive geändert ist. Wenn man im Land lebt, sieht man zu allererst die eigenen Probleme, die eigene Geschichte und Verwicklungen. Die Probleme in Kolumbien sind für jeden Kolumbianer fundamental und existentiell, du bist damit beschäftigt, zu leben, zu überleben, Position zu beziehen oder auch nicht ... Wenn du außer Landes bist, merkst du, dass es auch eine andere Sicht der Dinge gibt, du musst dich auch mit anderen Realitäten, z.B. hier mit den deutschen Gegebenheiten auseinandersetzen und wenn du aufmerksam bist, merkst du, dass es nicht nur eine kolumbianische Sichtweise gibt, sondern eine lateinamerikanische und eine globale. Was in Kolumbien geschieht, wird zum Teil eines großen globalen Dramas. Das ändert die Sicht. Es gibt sicher verschiedene Möglichkeiten damit umzugehen, für mich, war dies Motivation, mich wieder näher mit Kolumbien und seiner Tragödie zu beschäftigen, vielleicht klingt das pathetisch, wenn ich sage, das Leid dort ist das Leid der Welt. Wir haben ja schon von der Notwendigkeit des kollektiven Gedächtnisses gesprochen. Ich bin Kolumbianer und meine Wurzeln sind in Kolumbien, als Palästinenser oder als Deutscher ... würde ich eine andere Realität künstlerisch verarbeiten. Ich kann mich nicht losgelöst davon betrachten, weil eine rein ästhetische, abstrakt-individualistische Kunst nicht mein Thema ist. Ich fühle mich Kolumbien sehr nahe, aber das auch deshalb, weil es mir in den Jahren gelungen ist, über die künstlerische Arbeit Kontakte zu halten und in Austausch mit Menschen, die mir wichtig sind, zu sein. Das bringt mich künstlerisch weiter. Ich denke, dass die Dramatik für jemanden im Exil eine andere, schmerzlichere ist. Ich habe das Glück und die Möglichkeit, jeder Zeit nach Kolumbien reisen zu können. Die Vorstellung dies nicht zu können, sozusagen ausgeschlossen zu sein, im Exil zu leben, ist für mich nur schwer erträglich.
Schöpferisch tätig zu sein, verlangt häufig auch eine gewisse Einsamkeit bzw. eine Art Rückzug ... auf der anderen Seite versteht sich die politische Kunst als kollektive und nicht als individualistische Kunst. Wie gehst du mit diesem Widerspruch um.?

Wie schon gesagt, war Deutschland für mich in dieser Hinsicht eine einschneidende Erfahrung. Es war wirklich schwierig, vor allem weil hier diese Art des Kunstbegriffes nicht relevant ist, der Kunstbetrieb ist sehr individualistisch und nach Marktgesetzen organisiert, Da stand plötzlich auch die Frage im Raum, wie definiere ich mich als Künstler, wie schaffe ich mir eine Identität als Künstler. Das war zunächst erst einmal fragwürdig geworden oder sagen wir, in gewissem Sinne auch wert - los.
Nun hat es mich aber sicher künstlerisch und qualitativ weitergebracht, denn plötzlich hatte ich Zeit, zu malen, zu experimentieren, mich weiterzubilden, Möglichkeit direkten Zugang zu zeitgenössischer Kunst, zu Museen und Bibliotheken zu haben. Das ist eine immense Bereicherung. In Kolumbien war das eine Frage der Zeit und Geldes, selbst die Verwendung der Materialien war abhängig von den momentanen finanziellen Möglichkeiten. Meistens waren die äußerst beschränkt und wir malten mit allem, was uns in die Finger kam, mussten improvisieren, einfach spontan sein.
In den ersten Jahren habe ich hier nur individuell gemalt, es erfüllte mich nicht sehr und ich war deprimiert. Ich lebe in einer Kleinstadt in Süddeutschland, das hat es damals nicht gerade leichter gemacht. Für eineinhalb Jahre habe ich dann in Kolumbien gelebt und dort als künstlerischer Mitarbeiter der Theatergruppe Luz de Luna gearbeitet. In dieser Zeit habe ich nicht gemalt. Danach bin ich nach Deutschland zurückgekehrt und seitdem weiß ich mich verortet. Das hat auch mein künstlerisches Arbeiten motiviert. Meine Arbeiten stelle ich sozialen Gruppen vor Ort zur Verfügung, sehe sie auch als Teil für die Solidaritätsarbeit für Kolumbien. Das ist sicher kein marktgängiges Konzept, aber es lässt mich arbeiten, weil es für mich Sinn macht.
Wenn es sich ergibt, arbeite ich mit Jugendgruppe, z.B. ein Jahr lang mit einer Gruppe von Migrantenkindern in einem Asylbewerberheim oder mehrere Projekte in einem Jugendhaus in der Region.

Seit einiger Zeit haben wir eine Gruppe von drei lateinamerikanischen Künstlern (der Maler Jaime Colán aus Peru und der Holzbildhauer Ricardo Villacis aus Ekuador) Alle drei kommen wir aus ähnlichen Kontexten der "Volkskunst". Inzwischen hat die Gruppe auch einen Namen: "Arbol luz - Lichtbaum" Es ist ein spannender Prozess, zueinander zu finden, gemeinsame Konzepte zu erarbeiten. Es erlaubt uns wieder im Kollektiv zu arbeiten. So verwirklichten wir gemeinsam eine Installation "GesichterInnenLeben", dies sich auch mit dem Plan Colombia auseinandersetzt. Langsam entsteht hier in Europa ein solidarisches Netzwerk von lateinamerikanischen Künstlern.
Hier bei uns kennt man aus der kolumbianischen Kunstszene vor allem das kolumbianische Theater, seinen politischen Anspruch und sein hohes künstlerisches Niveau, z.B. die Gruppe Candelaria. Auch Gruppen wie Taller de Vida, wo sich junge Vertriebene in Schauspieler verwandeln und so mit Hilfe des Theaters wieder zu Akteuren und Subjekte ihres eigenen Lebens werden. Das lässt sich auch in der Hiphop- und Rapszene beobachten.
Wenig kennen wir dagegen die bildende Kunst. Wie ist sie im gesellschaftlichen Leben verankert, welche Bezüge hat sie zu politischen und sozialen Bewegungen im Land.

Das ist schwierig umfassend zu beantworten. Es gibt eine Kunstszene in Kolumbien, Bildende Kunst ist ein begehrtes Studium, aber es ist teuer, außer an der Nationaluniversität kann man es nur an Privatuniversitäten und Akademien studieren. Und die Ausrichtung ist sehr eurozentriert; es gab und gibt keine eigenen kolumbianische Schulen oder Richtungen, wie es z.B. die Muralisten in Mexiko oder Chile waren, oder in Peru die Schule Quiteña.
Dann kommt hinzu, dass die Kunst in intellektuellen, politischen Kreisen und in sozialen Bewegungen immer vor allem funktional und utilarisitisch gesehen wurde / wird und der Kunst an sich keinen großen Stellenwert beigemessen wird. Das gilt eigentlich für alle Kunstbereiche besonders aber für die bildende Kunst. Das Theater konnte sich teilweise davon lösen.
Das macht auch die Schwierigkeit aus, sich außerhalb des Landes solidarisch zu organisieren, sich als Künstler auszudrücken und damit einen Impuls für die Solidaritätsarbeit zu geben. Wir haben da zunächst ein Legitimationsproblem, weil die Kunst im Allgemeinen auf der einen Seite in Kolumbien als (über)lebensnotwendig angesehen wird und wir reiche, künstlerische Aktivitäten in allen Bereichen (von internationalen Musik - und Theaterfestivals bis zu Stadtteilaktionen) haben, auf der anderen Seite dem Künstler an sich und seiner Arbeit wenig Bedeutung zuteil wird. Vielleicht wird dies deutlicher, wenn wir einen in Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern ziehen. In Kolumbien leben wir seit Jahrzehnten in einer permanenten politischen und sozialen Krise; die Kunst oder die Kunstschaffenden haben es aber in all der Zeit trotz vielfältiger Aktivitäten und qualitativ hochwertiger Arbeit nicht geschafft, Kunst als sinn- oder identitätsstiftend in der Gesellschaft zu entwickeln (vielleicht in Ansätzen das politische Straßentheater) während in Chile die Sänger, Musiker, die Wandmaler und das Theater wichtige Akteure im politischen Kampf und später im Widerstand waren. Auch in El Salvador oder Nicaragua spielte die Musik als Mittel der Mobilisierung und Volkserziehung eine immense Rolle. Vielleicht kann man soweit gehen zu sagen, dass die große weltweite Solidaritätsbewegung ohne die Musik, die Lieder oder die Poesie z. B. eines Ernesto Cardenal, die heute noch viele kennen und rühren, nicht denkbar gewesen wäre. Sehen wir uns heute die zapatistische Bewegung an: sie lebt auch zum Teil von der poetischen Kraft ihrer Protagonisten.
In Kolumbien hat die Kunst nie diese Dimension und Dynamik erreicht.
In einem europäischen Seminar über Menschenrechte hast du das Treffen mit einer künstlerischen Aktion begleitet. Wie war das für dich, was war Inhalt und Bedeutung deiner Arbeit und deren Transformation? Kannst du uns das näher erläutern?

Ich will versuchen, es kurz zu skizzieren, um was es da ging. Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass ich als Künstler teilhabe an dem Einsatz für die Menschenrechte in Kolumbien. Ich kann das nicht trennen, es geht auch um das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung, das ist eine Frage der Definitionsmacht über Werte und der Identitätsfindung des kolumbianischen Volkes. Wir leben in einer äußerst heterogen und dispersen Gesellschaft und es ist wichtig, über die verschiedenen Kulturen und kulturellen Werte in einen kollektiven Dialog zu kommen. Die Menschenrechtsdebatte ist in Kolumbien sehr abstrakt und intellektuell bestimmt, führend sind dabei weitgehend Juristen und Soziologen auf der einen Seite, während auf der anderen Seite neben den Menschenrechtsaktivisten vor allem Bauern afrokolumbianischer Herkunft und indigene Gemeinschaften Opfer von Vertreibung und Massakern sind. Als Künstler ist es mir wichtig, von der Abstraktion auf die menschliche Dimension zu kommen, auf die Ebene der Gefühle, Wünsche und Hoffnungen, letztlich auf die Begegnung mit sich und dem Anderen. Auf dem Seminar, von dem du sprichst, wurde das durch verschiedene Elemente initiiert. Zum einen, indem kleinformatige Bilder zum Thema der Verschwundenen in den Seminarräumen installiert wurden, das sind schemenhafte Gestalten - was heißt das: jemand entschwindet unserem Blick, wird namenlos, gesichtslos - das Verschwindenlassen von Menschen ist eine vollkommene Entwertung der Person, ihr wird alles genommen - sogar den eigenen Tod ...
Mit einigen Seminarteilnehmern spannen wir bunte Fäden vom Eingang bis zum Seminarraum als Symbol dafür, dass wir aus verschiedenen Richtungen kommen, um uns zur Analyse zusammenzufinden, verschiedene Wege führen uns zusammen, Fäden sind auch ein Symbol dafür, dass wir dabei sind tragfähige Netze zu knüpfen.

Bei diesem Seminar war ich als Künstler nicht allein präsent, das ist wichtig, festzuhalten, denn die Arbeit und die Interaktion mit dem kolumbianischen Pantomimen Elkin war ebenso Teil dieser gemeinsamen Inszenierung, der Sichtbar- und Erfahrbarmachen von kollektiven Prozessen. Die Teilnehmer ließen sich darauf ein, unbekanntes Terrain zu betreten, indem sie sich aus ihrer theoretischen Reflexion in künstlerischen Aktionen wie das Theater und das gemeinsame Herstellen eines Wandbehanges zur Menschenrechtsarbeit hineingaben . Am Ende stand ein gemeinsames Erinnern, ein Memorial, an all die uns bekannten Toten, die im Einsatz für die Menschenrechte in Kolumbien ihr Leben gelassen haben. Es war sehr eindrücklich, auch schmerzlich, und ich denke, es hat viele von uns sehr bewegt und neue Formen der Zusammenarbeit entstehen lassen.
Wenn man so will, war die Arbeit auf diesem Seminar eine kollektive Installation.

Wenn man davon ausgeht, dass das künstlerische Schaffen ein ständiger Prozess von theoretischer und empirischer Bildung oder Auseinandersetzung ist, welche Personen, Künstler, Konzepte haben dich in deiner Arbeit beeinflusst ?

Da sind schon verschiedene Elemente zu nennen. Zunächst einmal ist das die Begegnung mit dem Werk des ekuadorianischen Künstlers Oswaldo Guayasamin. Das war schon sehr früh während meiner Schulzeit. Mich hat die Kraft seiner Bilder, der Ausdruck des leidenden Menschen und sein politischer Kompromiss als Künstler sehr beeindruckt und das ist auch heute noch so (es ist auch eine der gemeinsamen Quellen unserer Gruppe "Arbol Luz"). Ich habe ja dann Architektur studiert, was in manchen Bildern noch durchscheint. Während dem Studium befassten wir uns auch mit europäischer Kunst- und Baugeschichte und dabei ist mir Kandinsky begegnet. Auf den ersten Blick erscheint das vielleicht als Widerspruch, aber mich hat seine Radikalität in Farbe und Form, sein Wille zur Abstraktion sehr fasziniert. Ich habe mich dann auch mit seinen theoretischen Schriften zur Kunst auseinandergesetzt. Mich bewegt ebenso die Musikalität seiner Bilder.
Damit kommen wir zu einem weiteren Element, ich kann ohne Musik nicht arbeiten, sie begleitet mich immer, überwiegend lateinamerikanische Musik jeder Art, aber auch klassische Musik oder Jazz.
Geprägt hat mich auch, wie schon gesagt, die gemeinsame Zeit mit der Malergruppe in Bogotá, die Auseinandersetzung mit präkolumbianischen Formen und Motiven, die gemeinsame Aktion.
Und zuletzt die Begegnung mit den Menschen, an den verschiedenen Orten, wo ich gearbeitet habe, in den Stadtteilen, den Theatern, ... Menschen, die sich mit all ihren Widersprüchen, Ängsten und Träumen einsetzen für eine besseres, lebenswertes Kolumbien. Der Austausch mit ihnen ist immer eine schöpferische Quelle. Vielleicht sogar die wichtigste, dass ich immer weiterarbeite.
Marina Wieland