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interkulturelle Begegnung zum Totensonntag, 20. November 2005, Deutschhofkeller Heilbronn

Künstlerinnen und Künstler aus Lateinamerika und Deutschland trafen sich erstmalig am Totensonntag in Heilbronn, um gemeinsam in einer öffentlichen Veranstaltung mit unterschiedlichen Beiträgen ihr Gedenken mitzuteilen.

Konzeption: Jaime Colán, Alberto Jerez, Jutta Klee, Marina Wieland
Organisation: Alberto Jerez, Jutta Klee, Leonore Welzin, Marina Wieland
Grafik / Fotografien: Alberto Jerez, Jutta Klee, Leonore Welzin
Texte: Die nachfolgenden Begleittexte stammen von den jeweiligen Künstlerinnen und Künstlern

Zum Gedenken

Geburt und Tod gehören eng verflochten zum Leben. In unserer Gesellschaft weitgehend tabuisiert und an den Rand unserer Emotionen und unserem alltäglichen Handeln gedrängt, erinnern wir uns rituell im November, dem dunklen Monat des Jahres an den Tod und unseren Toten: an Allerheiligen, Volkstrauertag und Totensonntag. Andere Kulturen gehen mit dem Tod in anderer Weise um. Dem wollen wir in einem künstlerischen Rahmen - prozesshaft und experimentell - nachspüren und zu einem Dialog kommen. Wir begegnen dabei nicht nur anderen Riten und Sitten. Der Umgang mit dem Phänomen Tod gestaltet sich im Alltag, in seiner Verarbeitung und Konfrontation anders in Kulturen der Gewalt wie z.B. in Kolumbien, in den klimatischen Härten der Anden oder im unmittelbaren Ausgesetztsein von Naturgewalten, wie dem Tsunami in Asien oder den Hurrikans auf dem amerikanischen Kontinent.

Wir wollten am Totensonntag 2005 über das Medium Kunst der Frage nach dem Tod als Teil des natürlichen Kreislaufes von Werden und Vergehen, dem Weg in Raum und Zeit, nach Tod als gewaltsamer Eingriff von außen, und dem Menschenrecht auf Trauer und einem Ort der Erinnerung nachgehen und so auch nach unseren eigenen Ursprüngen fragen. Ich denke, das Experiment ist gelungen - und es war ein Anfang.

Marina Wieland 1. Vorsitzende Freundeskreis Luz de Luna e.V.
im Dezember 2005

Performance
Trauer
Magda Agudelo - Angie Heredia
"N.N. Minenfeld" Das Recht auf Trauer

Performance im Gedenken an die Verschleppten in Kolumbien als eine symbolische Manifestation auf das Recht der Lebenden die Toten zu betrauern. In Zeiten von Krieg und Terror bedeutet die Trauer von Familienangehörigen um einen toten oder verschleppten Menschen oft, dass sich die Trauernden selbst in Gefahr bringen. Indem man den Anderen zum Feind erklärt, wird auch die Klage um ihn zu einem feindlichen Akt. Die Performance reklamiert das Recht auf Trauer als einen Akt der Erinnerung, indem die Toten beim Namen genannt werden. In Kolumbien gibt es eine offizielle Liste mit Namen der politisch Ermordeten und Verschwundenen. Sie umfasst einige Tausend, 180 davon werden an diesem Abend verlesen. Eine Künstlerin zieht kleine Kärtchen jeweils mit einem Namen aus einem Korb und liest in minütlichen Intervallen, die durch einen Zimbelklang angekündigt werden, den Namen der vermissten Person. Die andere Künstlerin steigt darauf über die rot-weiße Absperrung und legt zum Gedenken auf die Konturen eines liegenden Menschen, die mit Maismehl auf ein Erdfeld gestreut wurden, den Namenszettel mit einem Teelicht und Blumen. Dieser Ablauf wird durch die Veranstaltung mit kurzen Unterbrechungen während der anderen Darbietungen fortgesetzt und mündet am Ende in eine Interaktion mit dem Publikum.

Ritus
Allerheiligen
Jaime Colán
Das Fest der Lebenden und des Todes

Der Tod ist eine schmerzhafte Erfahrung in der Existenz der Menschen, wenn er uns individuell oder kollektiv betrifft. Dieses Ende des organischen Lebens war in den antiken Kulturen der verschiedenen Zivilisationen lediglich eine Reise in die Welt der Toten, die später wieder ins Leben zurückkehrten - wie durch eine Wiedergeburt oder Regeneration. Man kann annehmen, dass in der präkolumbianischen Zeit die Ureinwohner Perus die Verstorbenen während der gesamten feuchten Jahreszeit mit ihren Riten begleiteten. Im November kehrten mit dem Sternbild der Plejaden die Verstorbenen zurück, um über das Wachstum der kultivierten Pflanzen zu wachen. Die Rückkehr der Seelen der Toten wird bis heute an Allerheiligen gefeiert. Für die antiken Peruaner gab es drei Welten: die Welt der Sterne: Hanan Pacha, der Stürme und des Mondes: Kay Pacha, die Welt des Lebens: Uco Pacha. Die Toten lebten nach dieser Vorstellung im Uco Pacha ein gewöhnliches Alltagsleben: aßen, arbeiteten, tanzten. Die Voraussetzung für diesen Zustand war dass der Körper trocken erhalten und die Erinnerung an unsere Welt beständig aufrecht erhalten wurde. Der letzte Inkakönig Atahualpa widersetzte sich aus diesem Grund seiner Verurteilung zum Tod durch Verbrennen - was seine Zerstörung über den physischen Tod hinaus bedeutet hätte - und akzeptierte im Tausch dafür jedwede andere Todesart. Musik: Ute und Illari Wolf

Installation
Gedenken
Alberto Jerez
Holz 10 cm x 10 cm
Zum Gedenken an die Opfer des Paramilitarismus in Kolumbien

Serie von Holztafeln (Votivtafeln), kontinuierliche Produktion dieser Tafeln seit 2003, Präsentation der Installation auf verschiedenen Seminaren und Konferenzen zur Menschenrechtsarbeit. Die Tafeln gehen ihren Weg der Erinnerung und zum Gedenken mit den Menschen, Familienangehörigen, Menschenrechtsverteidigern, Freunden. So entsteht ein Prozess der Individualisierung. Aus einer statistischen Nummer, aus der anonymen Masse der Verschleppten und Ermordeten, bekommt das einzelne Opfer ein Gesicht durch die Erinnerung derer, die seiner gedenken.

"Auf Grund der Tatsache, dass in Kolumbien die Verbrechen mit einer erstaunlichen Schnelligkeit vergessen werden vielleicht aus einem psychologischen Mechanismus heraus, der das Überleben in einem Meer von Blut und Terror garantiert, halten wir es für wichtig, in Momenten großer Entscheidungen, die die Grundwerte menschlichen Lebens bezüglich seiner Zukunft betreffen, die Gesichter der Opfer mit Entschiedenheit in den Kontext ihrer Lebenssituation, ihres Kampfes ihrer Leiden und Träume zu stellen, denn es kann nicht sein, dass ein zwanghaftes Vergessen uns dazu nötigt, eine Zukunft ohne Erinnerung zu errichten, in der man versucht, eine neue gesellschaftliche Verantwortung für die Zukunft auf der Grundlage einer Verantwortungslosigkeit in Bezug auf die Vergangenheit zu verankern." Aus: Bericht des katholischen Forschungsinstituts CINEP "Kolumbien - Schuld gegenüber der Menschheit - Paramilitarismus des Staates 1988-2003"

Objekt
Opfertuch Tsunami
Jutta Klee
Baumwollstoff, Permanentmarker
5,20 m x 4,10 m

Die Arbeit zeigt 200 000 Strich-Zeichen, welche in Reaktion auf die Flutwelle in Südostasien und ihre Opfer entstanden sind. Einen Monat danach, im Januar 2005 begann ich mit der Arbeit, um meine Betroffenheit zu verarbeiten und mit der abstrahierten Umsetzung auch das Ausmaß an Opfern dieser Größenordnung zu erfassen. Die wellige Gesamtstruktur symbolisiert für mich einen Ausschnitt aus einem universellen Zusammenhang, in den wir alle integriert sind.
Dank an alle Beteiligten und Helfer

Die Veranstalter bedanken sich für die Unterstützung und Aktionen, die zum Gelingen des Projektes beigetragen haben, bei:
Sparkassen-Stiftung der Kreissparkasse Heilbronn
Schul-, Kultur- und Sportamt der Stadt Heilbronn
sowie bei allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, Mitwirkenden und Helfern